Konferenz in Deutschland

Lokalisierung der Sozialen Arbeit in Arabischen Ländern: Fundament

Zusammenfassung der Inhalte der Internationalen Konferenz im Rahmen DAAD Transformationspartnerschafts-Programm 2019-2020 "Localisation of Social Work in Arab Countries"(LOSWAC)

  • Ort: Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt am Standort Würzburg, Deutschland
  • Datum: 17. und 18. Juli 2019
Prof. Dr. Ralf Roßkopf am Rednerpult bei der Begrüßung
Thematische Einführung - Prof. Dr. Ralf Roßkopf

Die von der Fachhochschule Würzburg Schweinfurt (FHWS) im Rahmen des DAAD-Transformationspartnerschaftsprogramms 2019-2020 eingerichtete internationale zweitägige Konferenz war die erste von drei Konferenzen zum Thema Lokalisierung der Sozialen Arbeit in arabischen Ländern (LOSWAC) und ihrer Grundlagen. 55 Teilnehmer/innen aus 28 Universitäten und 11 Ländern trafen sich, um das Thema zu analysieren, zu diskutieren und weiterzuentwickeln.

Nach einer herzlichen Begrüßung durch den Präsidenten der FHWS, Prof. Dr. Robert Grebner, und die Dekanin der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften, Prof. Dr. Dagmar Unz, begann die Konferenz mit einer Einführung in das Thema durch Prof. Dr. Ralf Roßkopf, Projektleiter und Mitglied des Konferenzstuhls. Er verwies auf die fehlende Lokalisierung von Forschung und Methoden der Sozialen Arbeit im arabischen Kontext und auf die mangelnde Förderung des akademischen Austauschs, die von dieser Reihe von Konferenzen und dem Projekt selbst angegangen werden sollte.

Die zweitägige Konferenz gliederte sich in sechs Sitzungen mit jeweils mehreren Referent/innen und einer Diskussion mit Plenum.

Tag 1

Erste Sitzung: Einführung in die Konzepte der Indigenisierung, Authentisierung und Lokalisation

In der ersten Sitzung wurde eine tiefergehende Einführung in die Konzepte der Indigenisierung, Authentisierung und Lokalisation gegeben.

Prof. Dr. Tanja Kleibl von der Fachhochschule Augsburg stellte zunächst die Frage, ob Soziale Arbeit nicht kontextgebunden und lokal spezifisch von ihrer Natur her ist oder zumindest sein sollte. Dies ist eine der am häufigsten diskutierbaren Fragen bei der Diskussion über die Lokalisierung der Sozialarbeit. Prof. Kleibl gab konkrete Beispiele aus ihrer Karriere als Sozialarbeiterin aus einem westlichen Land in ein nicht-westliches kommend. Nach ihren Erkenntnissen wurde deutlich, dass Lokalisierung und Indigenisierung als Antwort auf die westliche Herkunft der akademischen Sozialen Arbeit und ihre problematische Verflechtung mit dem Kolonialismus erscheinen. Sie verwies auf aktuelle Debatten über Globalisierung - Lokalisierung, Verwestlichung - Indigenisierung, multikulturelle - Universalität und universell-lokale Standards und gab einen tieferen Einblick in diese Konzepte.

Dr. Wajdi Akef Fakhouri, von der University of San Francisco, USA, selbst arabischen Ursprungs, setzte die Analyse dieser Konzepte fort, indem er sie definierte und diskutierte. Er beschrieb die Indigenisierung als den Prozess, bei dem Komponenten, die aus westlichen Regionen importiert werden, die nicht in den lokalen Kontext passen, angepasst werden, um schließlich eine bessere Anpassung zu ermöglichen. Authentisierung hingegen ist ein Prozess, in dem neue Modelle durch die Analyse lokaler Ressourcen und Daten ohne Bezugnahme auf westliche Sozialarbeitsmodelle entwickelt werden. Er betonte die Relevanz der Lokalisierung auch durch die Nutzung persönlicher Erfahrungen, den Aufenthalt in einem westlichen Land und Kunden aus einer nicht-westlichen Region. Der Referent hob auch die Bedeutung von psychosozialen Unterstützungs- und Beratungsgesprächen hervor, die sich an Einzelpersonen richten und die Relevanz ihrer Kultur und Sprache widerspiegeln.

Zweite Sitzung: Erfahrungen mit afrikanischer Lokalisation

Die zweite Sitzung rückte Erfahrungen mit der afrikanischen Lokalisation der Sozialen Arbeit in den Mittelpunkt. Zwei Expertinnen zu jeweils einem afrikanischen Land – Nigeria und Ghana – gaben Erfahrungen und Ergebnisse wieder, von denen arabische Regionen profitieren können.

Dr. Ngozi Chukwu, von der University of Nigeria Nsukka, Nigeria, Gastprofessorin an der THWS, begann mit der Einführung des Sozialhilfesystems in Nigeria, indem sie erklärte, dass es immer noch grundlegend sei – wegen fehlender staatlicher Unterstützung. Daher müssen Anstrengungen unternommen werden, um die Bedürfnisse der Nigerianer/innen stärker zu berücksichtigen. Tatsächlich stehen die Sozialarbeiter/innen in Nigeria vor vielen Herausforderungen in Bezug auf die Lokalisierung. An sich gibt es keine Theorien und Praxisparadigmen, die angemessen auf die Vielzahl sozialer Probleme kontextualisiert reagieren würden. Darüber hinaus gibt es kein autoritatives lokales Lehrbuch, um die Wirksamkeit lokaler Theorien oder Modelle nachzuweisen, und die lokale Forschung wird nicht gefördert. Zu erwähnen sei außerTem, dass das gesetzliche Mandat und die Stellenbeschreibung der Sozialarbeiter/innen im Land noch unklar sind. Nach Ansicht von Dr. Ngozi bedeutet die Lokalisierung der Sozialen Arbeit nicht, dass Ethik und Werte nicht universell bleiben sollten. Die Bildung und Praxis der Sozialen Arbeit sollte jedoch ein besseres Verständnis des Wertesystems und der kulturellen Überzeugungen der Klient/innen vermitteln. Doch lokal relevante kulturelle Praktiken, Bewältigungsstrategien oder informelle Hilfesysteme sowie religiöse Überzeugungen müssen in die Interventionen der Sozialarbeit einbezogen werden.

Franziska Neureither, Teilnehmerin des Doktorandenprogramms "Ethik, Kultur und Bildung für das  21. Jahrhundert", gab einen Überblick über die Situation der Sozialen Arbeit in Ghana und den Kampf mit der Situation des Postkolonialismus vor Ort. Doch vor der Kolonialzeit wurden soziale Probleme auf dem Weg des traditionellen Systems gelöst, während nach der Kolonisation Probleme von den Regierungssystemen angegangen werden sollten. Die traditionellen Systeme haben nur noch mehr Aufmerksamkeit erregt. Sie betonte auch den Mangel an Literatur zur Sozialarbeit, die auf den Kontext von Ghana zugeschnitten ist.  Außerdem zählte sie die Hürden von Sozialarbeiter/innen in Ghana auf. Tatsächlich gibt es einige Arbeitskräfte im Feld der Sozialen Arbeit ohne eine akademische Ausbildung in der Sozialen Arbeit absolviert zu haben, während Bachelorant/innen keinen Arbeitsplatz finden. Schlussendlich gab sie eine Einführung in ihr PhD Projekt über die Verbindung von Einheimischen und professionellen Unterstützungssystemen. Sie zitierte lokale Sozialarbeiter/innen aus Ghana, welche die Probleme in der Ausbildung der Sozialen Arbeit verdeutlichten gerade in Bezug auf verwestlichte Curricula die nicht auf die Realität vor Ort passen.

Dritte Sitzung: Die universelle und interdisziplinäre Basis von lokalisierten Konzepten

Die dritte Sitzung der Konferenz gab weiteren Einblick in die universelle und interdisziplinäre Basis von lokalisierten Konzepten der Sozialen Arbeit.

Prof. Dr. Stefan Borrmann von der Fachhochschule Landshut begann diese Sitzung mit einem Hinweis auf die komplexe Beziehung zwischen dem Globalen und dem Lokalen und der Frage, ob die globale Definition diese möglicherweise klären könnte. Auch wenn die Soziale Arbeit eine eigene globale Definition hat, sollte diese Definition aus seiner Sicht analysiert und nicht einfach als gegeben angesehen werden. Die vorherige Frage beantwortet er negativ, denn die Definition ist in dieser Hinsicht ebenso ambivalent positioniert wie die Debatte selbst. Diese Debatte über das Lokale und das Globale könnte nur gelöst werden, wenn man akzeptiert, dass die lokale und globale Kultur nicht statisch ist, sondern sich ständig verändert, und wenn Sozialarbeiter/innen akademisch ausgebildet werden, um global zu denken. Darüber hinaus muss der Beruf der Sozialen Arbeit immer die Beziehung zwischen dem Einzelnen und seiner Umwelt anerkennen.

Prof. Dr. Somia Qudah von der Yarmouk University in Jordanien hielt einen Vortrag über eine Methode der Lokalisierung im Bereich der Übersetzung in Jordanien. Sie diskutierte den Zusammenhang zwischen den Konzepten von Übersetzung und Lokalisierung im arabischen Kontext. Gleichzeitig hob sie die Herausforderungen bei der Übersetzung hervor, wie die Wahl der geeigneten Terminologie zur Übermittlung der beabsichtigten Botschaft oder die Aufrechterhaltung der Lesbarkeit der Sprache für die Zielleser. Darüber hinaus schlug sie vor, die Übersetzerausbildung zu verbessern, um Themen der Sozialarbeit abzudecken, indem ein Netzwerk aufgebaut wird, in dem Übersetzer zusammen mit arabischen Sozialarbeiter/innen arbeiten können, um die Intervention zu lokalisieren.

Tag 2

Vierte Sitzung: Soziale Arbeit in arabischen Ländern und Auswirkungen des (Post-)Kolonialismus

Die Konferenz fuhr am zweiten Tag mit der vierten Sitzung fort, und diese konzentrierte sich auf die Soziale Arbeit direkt in arabischen Ländern und auf die Auswirkungen des Kolonialismus und des Post-kolonialismus. 

Prof. Dr. Christine Huth-Hildebrandt von der Deutsch-Jordanischen Universität hielt einen Vortrag über die postkolonialen Auswirkungen auf transnationale Bildungs- und Forschungsprojekte in der Sozialen Arbeit. Sie begann mit einem Überblick über die vergangenen Kolonialreiche, die die arabische Welt erlebt hatte, und innerhalb dessen wurden viele Veränderungen in der Kultur vorgenommen. Anschließend gab sie ein konkretes Beispiel für die notwendige Lokalisierung des Bildungssystems der Sozialen Arbeit:

Ein Genogramm ist eine visuelle Familienzuordnung, die es Klient/innen ermöglicht, mehr über die Dynamik der Familienbeziehungen zu erfahren. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die arabische Kultur zu berücksichtigen, in der die familiären Bindungen stark sind. Ein Werkzeug wie dieses Genogramm kann nicht so eingesetzt werden, wie es ursprünglich im Westen entwickelt worden ist, sondern muss an den arabischen Kontext angepasst werden.  

Die fünfte Sitzung konzentrierte sich inhaltlich auf die verschiedenen Bedürfnisse nach Lokalisation und auf die Potentiale der Authentisierung in arabischen Ländern mit der Einbindung von Expert/innen aus arabischen Ländern und eines Experten aus Deutschland.

Prof. Dr. Ayat Nashwan von der Yarmouk University in Jordanien begann ihren Vortrag mit der Geschichte der Sozialarbeit in Jordanien, wo sie erklärte, dass der Beruf seit Anfang des 20. Jahrhunderts als eine Form der effektiven Unterstützung in Jordanien anerkannt sei. Damals entstanden gemeinnützige Organisationen als Antwort auf den wachsenden Bedarf an sozialer Unterstützung in den Gemeinden. Darüber hinaus betonte sie, dass Jordanien derzeit vier Sozialarbeitsprogramme für den Bachelor- und zwei Masterstudiengänge hat. Sie verwies weiter auf die Rolle der Sozialarbeiter/innen, die im Bereich der Gemeindeentwicklung - insbesondere im Bereich der Sozialen Arbeit mit Geflüchteten - arbeiten, und auf ihren Wunsch, lokalisierte Methoden und Praktiken anzuwenden. Abschließend erklärte sie, dass sich die Soziale Arbeit noch in einem frühen Entwicklungsstadium befindet und sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht derart professionalisiert ist, wie sie es im Westen ist.

Prof. Dr. Rania Mansour von der Libanesischen Universität führte eine Vergleichsstudie über die libanesischen Lehrpläne der Universitäten durch, die Sozialarbeiter/innen im Libanon graduierten. Ziel der Studie war es, herauszufinden, ob Krisen - insbesondere die syrische Krise 2011 - die Entwicklung von Konzepten, Ansätzen und Mechanismen der Sozialarbeit der Wissenschaftsgemeinschaft im Libanon beeinflussen.  Die Studie kam jedoch zu dem Schluss, dass unter den sechs Universitäten, die Soziale Arbeit im Libanon lehren, der Begriff "Krise" im Lehrplan von drei Universitäten auftaucht, während in den Lehrplänen der übrigen Universitäten (ALJINAN, LAU und Haigazian Universities) das Wort "Krise" nicht erwähnt wird. Darüber hinaus wird die Krisenintervention als Theorie bezeichnet und als eine von zehn Theorien betrachtet, die in Kursen über soziale Interventionen mit Individuen und Familien gelehrt werden. So sind sie hinsichtlich der mit der Krisenintervention verbundenen Komponenten teilweise in verschiedenen anderen Kursen eingeschlossen.

Prof. Dr. Ferdoos Al-Issa von der Universität Bethlehem begann ihre Sitzung mit der Erklärung, dass die Soziale Arbeit in Palästina eine lange Geschichte hat, die auf kolonialen und importierten Praxismodellen basiert. Die Bildung basiert auf verwestlichten Lehrplänen. Lokalisierte kulturelle Sensibilitäten erfordern jedoch eine lokalisierte Aufmerksamkeit, wie beispielsweise bei Ehrenmorden. Das Fehlen einer umfassenden Sicht der palästinensischen nationalen Rechte und der Trend zur Fragmentierung, etwa bei der Behandlung sozialer Fragen, haben die Unterdrückung von Frauen und die Erfahrungen mit Ungleichheit verstärkt. Eine lokalisierte Soziale Arbeit, die sich auf die Barrieren vor Ort konzentriert, könnte diese Probleme angehen.

Prof. Dr. Christoph Merle von der Universität Vechta in Deutschland hielt einen Vortrag über Menschenrechte aus islamischer Sicht. Seit 1990 gibt es Versuche von Wissenschaftlern, die an der islamischen Grundlage der Menschenrechte arbeiten, eine islamische Version der Menschenrechte zu entwickeln. Die islamischen Grundrechte und -freiheiten sind als integraler Bestandteil der islamischen Religion zu betrachten. In der europäischen Tradition der Menschenrechte gründen sie sich auf grundlegende Rechtsinteressen und beziehen sich auf grundlegende Bedürfnisse. Die Scharia ist jedoch nicht als eine Institution gegen das zu sehen, was die Menschenrechte schützen, sondern als die Institutionen, die sie bereitstellen. Aus dieser Sicht sind jedoch eher objektive Normen des Staates als subjektive Rechte zu berücksichtigen. Doch die traditionellen Menschenrechte sind mit der Menschenwürde verbunden, die allen Menschen gehört. Auf den Nahen Osten bezogen, diskutieren die Reformer in der arabischen Welt auch das Verhältnis der Menschenrechte zum "Qur'an" und zur "Sunna".

Sechste Sitzung: Offene Diskussion und Reflexion der Ergebnisse

Im Rahmen der sechsten Arbeitssitzung wurde eine offene Diskussion von Prof. Dr. Vathsala Aithal moderiert und mehrere Expert/innen direkt einbezogen, nämlich Prof. Dr. Marja Katisko (Finnland), Prof. Dr. Stefan Borrmann (Deutschland), Prof. Dr. Ferdoos Al-Issa (Palästina) und Dr. Wajdi Akef Fakhouri (USA). Die Expert/innen überprüften den Inhalt der vorangegangenen Konferenzsitzungen, prüften Fragen aus dem Plenum und diskutierten weitere Ansätze zur Förderung der Lokalisierung.

Abschließend war deutlich, dass alle Expert/innen auf der gleichen Wellenlänge waren, wenn es darum ging, die Relevanz der Lokalisierung der Sozialen Arbeit und der Messungen anzuerkennen.  Die partizipative Identifizierung kontextualisierter Bedürfnisse der Begünstigten, anstatt sie nur auf der Grundlage externer und theoretischer Kenntnisse zu ermitteln, war ein oft wiederholter bevorzugter Ansatz während der gesamten Konferenz. Die Experten erkannten zudem den Mangel an Methoden und Modellen, wie man den Beruf direkt vor Ort lokalisieren kann.

Prof. Dr. Huth-Hildebrandt und Prof. Dr. Ayat schließen die Konferenz ab und geben einen Ausblick
Ausblick - Prof. Dr. Huth-Hildebrandt (GJU) und Prof. Dr. Ayat (YU)

Die nächste Konferenz, die im September in Jordanien 2019 stattgefunden hat, ging genauer auf die Analyse gehen und mögliche Strategien ein, um dem Bedarf nach Lokalisierung gerecht zu werden und Ansätze hierfür in der Sozialen Arbeit in arabischen Ländern herausfiltern.